Text von Dr. Harald Kimpel
ABTEILUNG SIEBEN
Signatur
„...
ein in allerletzter Zeit von der Anatomie erworbener Totenschädel,
der, in einer Schale mit Rosen ruhend, im Augenblick der Hauptschmuck
meines Tisches war. Er trug das Motto Et in Arcadia ego auf der Stirn.“
Evelyn Waugh1)
ET IN ARCADIA EGO: eine
elegische Wendung mit Doppelsinn – steht doch das EGO, das in dieser
kulturgeschichtlich komplexen Sentenz in Literatur und bildender Kunst
seine Anwesenheit bezeugt, durchaus in Frage. In der gängigen
Version gilt die vertraute Formel als „die rückwärts gewandte
Vision eines unübertrefflichen Glücks (...), das in der
Vergangenheit genossen wurde, danach für immer unerreichbar und
dennoch in der Erinnerung dauerhaft lebendig blieb: ein vom Tod
beendetes vergangenes Glück“ 2) Eine Vielzahl bildlicher
Darstellungen –beispielsweise Nicolas Poussins Gemälde um 1640/45
– zeigt den Text als eine von Hirten entdeckte Grabinschrift, als „ein wehmütiges Epitaph
für eine Idylle (…), die man genossen hat"3 ) Erwin
Panofsky hingegen hat in seinem lückenlosen historischen
Nachvollzug des geflügelten Wortes nachgewiesen, dass es dort
keineswegs um die melancholische Reminiszenz eines Hingeschiedenen
geht, sondern dass die Wahrheit einem früheren Gemälde
Giovanni Francesco Guernicos (um 1621/23) zu entnehmen ist. „In diesem Gemälde werden zwei
arkadische Hirten auf ihrer Wanderung vom plötzlichen Anblick
nicht eines Grabdenkmals, sondern eines riesigen menschlichen
Totenkopfes aufgehalten, der auf einem verfallenden Mauerstück
liegt (...). In die Mauer eingeritzt sind die Worte Et in Arcadia ego" 4
) Die sinngemäß und grammatikalisch einzig korrekte Lesart
muss daher lauten: Selbst hier, in Arkadien, gibt es mich, den Tod;
noch im geographisch unbestimmten Idyll des Sehnsuchtsgefildes habe ICH
das letzte Wort.
Paul Depprich (*1947) –
Künstler und Flieger – steuert eine zeitgemäße Variante
des schädelinskribierten Mahnspruchs bei, indem er einen
eigenwilligen Kurs einschlägt, um die Präsenz des Todes auch
in weniger arkadischen Weltgegenden zu thematisieren. Er geht die
Signatur des Todes in größerem Maßstab an, löst
sie vom antiken Mauerwerk und von der Stirn des Totenkopfes und
überträgt sie – in Form des Totenkopfes – auf das Arkadien
seiner eigenen Wahl. „ET IN HASSIA EGO“ bedient sich zudem eines
innovativeren Werkzeugs, als es der Kunst bislang zu Gebote stand: Das
Werk kommt zustande, indem ein Flugzeug wie ein Zeichenstift benutzt
wird.
Wie alle Projekte Paul
Depprichs im Überschneidungsbereich von Kunst und Fliegerei geht
auch dieses unter anderem davon aus, dass die menschliche
Wahrnehmungsapparatur einer von technischen Apparaturen erzeugten
Realität – bzw. dem „’Technik’
genannten Weltzustand“ (Günther Anders) – nicht mehr
gewachsen ist. „Das Sehen“,
formuliert er in einem Statement zum philosophischen Ansatz seiner
Arbeit, „reicht nicht mehr
aus, das Geschehen zu erkennen“. Es bedarf daher immer weiterer
technischer Medien, um mit der von der Technik hervorgebrachten
Wirklichkeit Schritt halten zu können. Und eben diese „Diskrepanz zwischen Realität
und subjektiver Wahrnehmung“, also die Lücke zwischen dem,
was heutzutage der Fall ist, und dessen sinnlicher Erfahrbarkeit, macht
Paul Depprich zur Grundlage von Projekten, in denen die Unsichtbarkeit
des Faktischen auch auf dem Feld gesellschaftlicher Phänomene
thematisiert werden kann.
Die Objektivität mit der
Subjektivität wieder zu synchronisieren, ist auch das Konzept des
künstlerischen Flugmanövers „ET IN HASSIA EGO“: Am 20.09.2010
absolviert der Pilot von 10.44 Uhr bis 12.10 Uhr einen Flug, dessen
Bahn die Kontur eines menschlichen Schädels konfiguriert.
Wenngleich am Himmel spurlos und im Moment ihrer Entstehung der
Beobachtung nicht nachvollziehbar, hat die Formbildung dennoch
stattgefunden. Die Spur der Bewegung wird allerdings verifizierbar mit
Hilfe der Radar-Technik, in deren Aufzeichnung sich das von dem
fliegenden Zeichenstift ausgesandte Transponder-Signal Punkt für
Punkt zur signifikanten Linie addiert. Erst durch die Kooperation eines
Fluglotsen am Boden – des „Air Traffic Management Spezialist“ Frank
Willmeroth – materialisiert sich das flüchtige Zeichen im Luftraum
zur Zeichnung: das Dokument der Flugsicherung als lückenloser
visueller Beleg der zurückgelegten Strecke, als Dokumentation
eines gekurvten linearen Ablaufs von 137 NM=249 km Länge über
einem Gebiet von ca.1041 Quadratkilometern. Erst durch die mediale
Verschränkung im Zusammenkommen von unternommenem Flug, dessen
Video-Aufzeichnung, deren DVD-Vorführung, der
Flugsicherungsdokumentation und deren Ausdruck auf Papier konstituiert
sich das Kunstwerk.
Doch jenseits der Faszination
des aufwändigen (und für künstlerische Intentionen
zweckentfremdeten) Bildgebungsverfahrens der Flugsicherung positioniert
sich Paul Depprich in kritischer Distanz zu der gesellschaftlich in
Beschlag genommen, in eine ökonomisierte politische Landschaft
verwandelten Natur. Denn das Gebiet, das er als Überflieger unter
sich hat, schließt nicht nur seinen hessischen Heimatort Seeheim,
sondern mit dem benachbarten Atomkraftwerk Biblis auch einen jener
Technologiestandorte ein, die als Ausgangspunkte eines unsichtbaren,
nichtsdestoweniger realen Bedrohungspotentials globalen Ausmaßes
das auf sie projizierte Schädelsymbol angemessen erscheinen
lassen. Das Wasserzeichen,vom Fluggerät unauffällig, aber
dauerhaft in die Realität eingeschrieben, ist also unmittelbar
legitimiert durch den brisanten Charakter des geographischen Kontexts.
„ET IN HASSIA EGO”: Das heitere Leben im pastoralen Idyll ist
unwiederbringlich dahin. Wer heute in Hessen – und anderswo – weilt,
darf nicht mehr auf unversehrte Natur hoffen. Stattdessen ist er
gefährlichen Landschaften ausgesetzt, denen die Mechanismen des
Verderbens eingepflanzt sind. Der Wunsch nach einem unschuldigen
Idealraum erweist sich als unhaltbar: Über Biblis schwebt als
immaterielles Menetekel die Signatur des Todes. Die imaginäre aber
unauslöschliche Anwesenheit des Abwesenden besagt: Auch in Hessen
bin ICH omnipräsent.
1. Waugh, Evelyn: Wiedersehen
mit Brideshead. Berlin 2008. S. 48
2. Panofsky, Erwin: Et in
Arcadia Ego. Poussin und die Tradition des Elegischen. In: Ders.: Sinn
und Deutung in der bildenden Kunst. Köln 1975. S. 351-377. S. 351/2
3. Schama, Simon: Der Traum
von der Wildnis. Natur als Imagination. München 1996. S. 556/557
4. Panofsky. S. 360